Das Leben des Johann Valentin Heinrich Paul, genannt Rhönpaulus

Im Jahre 1736 gebar die Magd Hanna Regina Paulin in Weilar ein uneheliches Kind mit dem Namen Johann Valentin Heinrich Paul. Sein Vater soll der aus Weilar stammende Sigismund Günther gewesen sein, der seinen Militärdienst beim Landesregiment in Hildburghausen ableistete. Ein Windhund, der mit den Soldaten davonzog.

Bald nach der Geburt starb die Mutter. So kam der Junge zu seinem Onkel, dem Weilaer Gutsschäfer Paul. Bei ihm wuchs er auf bei schwerer Arbeit und wenig Brot. Mit dem Onkel schlug er die Koppel, scherte und hütete die Schafe und half für ein weniges bei den Bauern auf dem Feld.
Vom Frühjahr bis in den Spätherbst zogen die beiden mit der Schafherde über Huten und Hänge. Sie schliefen in einem Schäferkarren, wuschen sich des Morgens an klaren Quellen und wärmten sich des Abends am Feuer. Erst wenn der Winter einzog in die Rhön und die Schneestürme über die Felder fegten, kehrten sie heim ins Dorf.
Doch so streng auch der Onkel und Vormund mit dem Jungen war, so achtete er doch darauf, dass er die Dorfschule besuchte und des Sonntags zum Gottesdienst ging. Johann Valentin Heinrich Paul soll ein gelehriger Schüler gewesen sein und wegen seines hellen Köpfchens meinte der Pastor, er tauge eigentlich für die höhere Schule. Doch allein dazu fehlte das Geld, und so lernte Johann das Schäferhandwerk bei seinem Onkel. In der wenigen freien Zeit, die ihm blieb zwischen Herde und Pflug, las er oft Bücher, die er sich beim Dorflehrer oder beim Pfarrer ausborgte.
So vergingen die Jahre und Johann wuchs zu einem außergewöhnlich kräftigen Mann heran. Sein Bart war schwarz, wie auch sein Haar, das in langen wilden Locken über die Schultern herabwallte. Unter dem hohen Schäferhut funkelten kluge feurige Augen hervor.


Man schrieb das Jahr 1756, als die Werber des Preußenkönigs Friedrich II. die Rhön durchzogen und für ein Handgeld Soldaten warben. Sie trafen bei Weilar auch den alten Gutsschäfer am Feldrand bei der Herde. Sie fragten ihn, ob er nicht ein paar kräftige junge Mannskerle im Dorf wisse, die geeignet seien, im königlichen Heer zu dienen. Sie zogen ein paar Münzen aus dem Beutel und ließen sie im Sonnenlicht blitzen, und bald war der Gutsschäfer überzeugt, dass es wohl keine bessere Zukunft für Johann gäbe als das Soldatenleben. So kam es, dass Johann als Soldat in den Krieg zog. Doch das Leben im engen Uniformrock und bei preußischem Drill denn er liebte das freie Leben in der Natur. Und so floh er, als ihm die Stunde hold war, schlug sich wochenlang durch die Wälder, mied Dörfer und Menschen, bis er zurückkam in seine Heimat. Doch auch hier waren ihm die Häscher auf den Fersen, denn es hatte sich schnell herumgesprochen, dass er desertiert sei. Es blieb ihm also nichts anderes übrig, als im Dickicht der Wälder ein neues Zuhause zu suchen. Er fand eine Höhle im Neuberg, nicht weit vom Glattbach beim Eibengarten, die ihn vor kalten Winden und den Augen der Gendarmen schützte. Hier schlief er zwischen Wurzeln und Steinen und half den Bauern der nahen Dörfer für ein wenig Brot. Haar und Bart wuchsen ihm und schienen schwärzer als je zuvor, und auch die Haut wurde dunkel von der Sonne. Als Unbekannter zog er auf die Märkte verbarg sich in Bauernwagen und kehrte auch ein bei so manchem alten Freund, der sein Schicksal kannte. Er schnitt dem Gendarmen die Zügel seines Pferdes durch, stahl dem reichen Gutsbauern von Oepfershausen den Räucherschinken aus der Kammer und teilte ihn mit dem Ärmsten der Armen, dem blinden Fried, der am Dorfrand in einem Schuppen hauste.
Johann Valentin Heinrich Paul lernte sich durchzuschlagen, und dieses Leben war sein bester Lehrmeister. Doch hin und wieder gelang es auch den Bütteln, ihn zu überlisten, und überhaupt sagte man ihm alle Freveltaten nach, deren er sicherlich nur wenige begangen hatte.


So oft man ihn jedoch gefangen nahm und in den Turm von Kaltennordheim brachte, so oft gelang es ihm zu entwischen. Abergläubisch wie man damals war, sagte man ihm folglich überirdische Kräfte nach. Ja, man behauptete, er könne Leute festmachen und sich in einen Hahn oder schwarzen Hund verwandeln. So ersannen die Gendarmen eine arge List, um Paulus endlich dingfest zu machen. Sie ließen bei einem Zimmermann in Kaltennordheim einen hölzernen Kasten anfertigen, der an der Oberseite ein Loch für den Kopf hatte und aus dem unten die Beine herausschauten. Abermals überlisteten sie Paulus, und ein bestechlicher Bauer half ihnen dabei.
Nun zwängte man ihn in den Holzkasten und brachte ihn auf einem Fuhrwerk samt Kasten in den Turm von Kaltennordheim. Hier musste er warten, bis ihm der Richter das Urteil sprach und er schließlich 1780 am Galgen hingerichtet wurde.

Als er in jenem Kasten gefesselt auf dem Wagen zur Richtstätte gefahren wurde, begleitet von einer Schar Bütteln, sah er zum letzten Mal den blauen Rhönhimmel und die kleinen weißen Wolken, die ihn an die Schafherde und seine Kindheit erinnerten.


Nach dem Volksmund erzählt von Gerda Hesselmann
Im Kirchenbuch von Weilar findet sich der Eintrag, dass Hanna Regina Paul am 5. Februar 1736 ein „unechtes” (uneheliches) Söhnchen geboren hat und es taufen ließ. Es wurde nach seinen Paten Johann Heinrich Valentin genannt. Als Vater wird angegeben: Sigmund Günther aus Hildburghausen.
Nach dem Friedelshäuser Kirchenbuch ehelichte Hanna Regina Paul erst 1739 den Steinmetz Christoph Vach. Bereits 1741 wurde sie „zur Erde bestattet".

Zurück