Vom Bierbrauen im Henneberger Land bis zur Rhönbrauerei Kaltennordheim

Brot, Bier, Hülsenfrüchte und Zwiebeln waren Jahrhunderte lang die Grundnahrungsmittel des „gemeinen Volkes". Fleisch kam nur selten auf den Tisch. Milchkühe besaßen nur wenige, den Bedarf an Milch lieferten vor allem die Ziegen.

Alles was man zum Leben brauchte wurde selbst auf eigenen Hof und Acker erzeugt. Das Bier war zu jener Zeit kein Genussmittel. Es war alltägliche Nahrungsgrundlage. Zweimal jährlich wurde gebraut,- einmal im Frühjahr, um die Zeit der Aussaat und einmal im Herbst nach der Ernte.
Bis ins Hochmittelalter gehörte das Brauen zu den wiederkehrenden Arbeiten im Ablauf des Jahres. Es war mit viel Arbeit verbunden. So musste die Gerste nach der Ernte auf dem Boden des Speichers durch wiederholtes Anfeuchten zum Keimen gebracht werden. Das gekeimte Getreide wurde dann ins Backhaus gebracht zum „Dörren". So entstand das Malz. Dieses fuhr man nun zur Mühle wo es zu Schrot gemahlen wurde. Den Hopfen baute man auf dem eigenen Feld oder im Garten an. Nach der Ernte musste er getrocknet und bis zum Brauen aufbewahrt werden. War die Zeit des Brauens gekommen, so reinigte man zuerst die Fässer, danach wurden sie geschwefelt. Die Fässer stellte man nun im Keller bereit. Es waren Eichenholzfässer mit einem Fassungsvermögen zwischen 120 und 150 Liter.


Am Vorabend des Brautages setzte man die Maische an, das heißt, man verrührte das gemahlene Malz mit Wasser und ließ es über Nacht stehen. Am folgenden Morgen zu früher Stunde heizte die Bäuerin den Kessel. Überhaupt waren eigentlich die Frauen die Brauer, obwohl die Mannsbilder voller Stolz „ihre Hausbräu” lobten, wenn sie abends unter der Linde beim Umtrunk saßen. Das Wasser musste nun vom Malze getrennt werden. Dies geschah durch Abzapfen. Die restliche Masse überbrühte man dann mehrfach mit kochendem Wasser, um die erforderliche Menge zu erreichen. Anschließend wurde der Sud mit dem Malz gut durchkocht und über Nacht kühl gestellt.
Nun wurde das Bier mit Eimern in den Keller getragen und in die Fässer gefüllt. In den Fässern erfolgte die Gärung. Dabei schäumte das Bier aus dem Spundloch heraus. Es wurde mittels Fangschalen aufgefangen und nach dem Gärungsprozess wieder hinzugefügt. Nach etwa zwei Wochen kam die Gärung zur Ruhe. Das Bier war trinkfertig. Wollte man aber eine gute Qualität, besseren Geschmack und ein klares Äußeres erreichen, so empfahl es sich, das Bier abermals zwei Wochen ruhen zu lassen bis sich die Hefe abgesetzt hatte.
Auf alle Fälle war die Frühjahrs Bräu bis zur Heuernte abgeschlossen. In den Wochen über den Sommer und der Erntezeit wurden große Men gen gebraucht, um an heißen Tagen bei der schweren Feldarbeit den Durst zu stillen. Bis zur Herbst Bräu war alles getrunken. Es hätte sich wohl länger auch nicht gehalten.
Das hausgebraute Bier enthielt im Gegensatz zu heute einen geringen Alkoholwert, so dass man es zu allen Mahlzeiten vom Morgen bis zum Abend trinken konnte, ohne dass es unangenehme Folgen hatte. Jede Haus Bräu hatte ihren eigenen Geschmack. Das ergab sich daraus, wieviel Prozent Hopfen man zusetzte bzw. wievielmal der Sud aufgegossen wurde.
Brauen zum eigenen Verbrauch konnte jeder, der die entsprechenden Voraussetzungen auf seinem Hof hatte. Er war lediglich zu den Abgaben verpflichtet. Der Bierverkauf und der Ausschank waren jedoch nur dem gestattet, der die entsprechende Brau- bzw. Schankgerechtigkeit besaß. Diese musste käuflich erworben werden. Außerdem musste er die festgesetzte Tranksteuer an das Amt zahlen.


Erst im 16. Jh. wurde dies anders. Die Brau- und Schankrechte sowie die Herbergsgerechtigkeit wurden nun den Städten zugeschlagen. Ausnahmen bildeten die Zollhäuser mit ihrem Herbergswesen an den Zollstellen der Grafschaft. In den Orten mit Stadtgerechtigkeit wurden nun gemeindeeigene Brauhäuser errichtet. Der Stadtrat stellte einen Braumeister und einige Brauknechte an. Jeder Bürger der „eigen Rauch" (eigenes Haus) hatte, konnte im Brauhaus gegen Zahlung eines Endgeldes sein Bier brauen. Die Zutaten mussten geliefert werden, wobei das Deputat für das Lohn Bier der von Amtswegen Berechtigten eingerechnet sein müsste. Dazu hatte ein jeder Brauherr auch die Tranksteuer zu zahlen. Diese war allerdings bereits schon seit 1328 im Hennebergischen (wie auch in Hessen und Bayern) üblich. Die Brauherren bildeten zusammen die Brauerschaft. Wer zu dieser gehörte, hatte gleichzeitig die Pflicht zur Unterhaltung der Braupfanne und der Feuerspritze beizutragen. Das heißt, jeder Brauer hatte bei Feuer oder sonstiger Unruhe, wie z.B. „Befeindung", mit Harnisch, Eisenhut, Büchse oder Armbrust zu erscheinen und seinen Dienst auf der Wache auszuführen (Hennebergische Feuerordnung 1552).


Jährlich einmal wurde auf dem Rathaus die Reihenfolge der Brauer verlost. Das Los musste vom Brauer selbst oder von einem bevollmächtigten gezogen werden. Nun lieferte er eine bestimmte Menge Malz an, die vom Braumeister in Maltern nachgemessen und in die entsprechende Biermenge umgerechnet wurde, abzüglich des Lohnbieres für die Frischbier-Berechtigten. Zu diesen gehörten: Geistliche, Amtleute, Rentmeister, Schultheißen, Bürgermeister, Ratsherren, Gemeindevormünder, Stadtschreiber, Stadt- und Landsknechte.
Der Nachweis der Bezugsberechtigten erfolgte mittels des sogenannten „Gelten” (Marken) in dem das Zeichen der Stadt und das Zeichen des Berechtigten eingeschnitten waren, die sogenannten ,Herrengelten". Hatte jemand „Gelten" eingeschmuggelt, wurden diese mit samt dem eingefüllten Bier konfisziert (beschlagnahmt). Der Braumeister selbst durfte von der ersten Pfanne Bier einen Eimer Fischbier heimtragen, die Knechte einen halben Eimer, jedoch gegen eine Zahlung von 5 Gnacken. Von den Träbern erhielt der Brauer 20 Zuber zur freien Verwendung. Jeder andere Berechtigte einen halben Zuber, das andere wurde an den Braumeister und die Knechte verkauft.


Während das Bier im Brauhaus stand, durfte außer den Brauherrn niemand hineingelassen werden. Auch durfte niemand Feuer oder brennende Kohlen aus dem Brauhaus tragen. Das übrige Holz und die Kohlen verblieben dem Brauherren. Beim Ausmessen des Frischbieres musste der Stadtknecht die Ordnung halten. Wenn der Braumeister aus Hass, Fahrlässigkeit oder Abgunst schlecht braute, hatte er das Gebräu zu bezahlen und wurde am Leibe bestraft.
In den folgenden Jahrzehnten wurden die Auflagen zum Brauen immer höher. Im 18. Jh. trat eine neue Brauordnung in Kraft, die alle Bestimmungen ausführlich zusammenfasste. Nach dieser konnte ein neuer Brauer nur noch mit besonderer Genehmigung des Rates in die Brauerschaft aufgenommen werden. Die Brauordnung wurde den Brauherren jährlich mehrmals vorgelesen. Der Rat behielt sich allerdings das Recht vor, sie nach eigenem Ermessen zu ändern.
Gegen Ende des 18. Jahrhunderts verlor das Braurecht mehr und mehr seinen Wert. Schließlich wurde es nur noch für die Hälfte der ehemals gezahlten Summe verkauft. Im 19. Jh. ging das Braurecht an gewerbliche Betreiber über.
In einem alten Protokollbuch der Stadt Kaltennordheim fand sich folgender Bericht: „Anno 1793, 4. März ist von der hiesigen Bürgerschaft vor E. & E. Rath und Viertelmeister wieder zum Brauen geäußert und denen Bürgern dabei angedeutet worden, dass jeglicher Bürger welcher mitlooset, vor sein Los stehen muss, damit die Ordnung in der Brauerei erhalten werden kann." Nun folgen die Namen der Bürger wie sie durch das Los herausgekommen sind. Es werden insgesamt 181 Bürger der Stadt Kaltennordheim aufgezählt.


In einem anderen Protokoll findet sich der Eintrag: „Anno 1793, 13. März. Heute dato sind vor E. & E. Rath und Wirtschaftsmeister Nachberichte Personen zu Ämtern vorgeschlagen worden:
Christian Stopfel, - Ratsbürgermeister; Christian Dressler, - Holzmann Georg Gutjahr, - Gemeindebürgermeister Joh. Caspar ...?.., - Heiligenmeister Joh. Andreas Zimmermann, Loisor Schneider, Kreisers Sohn - Wegmeister Joh. Georg Bauß, - Löwenwirth, Schafmeister Joh. Thomas Greifzu, - Schultheiß" Interessant bei dieser Eintragung ist die Benennung von Johann Georg Bauß als Löwenwirth und Schafmeister, was uns darüber Aufschluss gibt, dass es zu dieser Zeit bereits ein Gasthaus „Zum Löwen" eventuell mit Herbergsgerechtigkeit in Kaltennordheim gegeben hat. Wer Schankrecht erworben hatte, besaß in der Regel auch die Herbergsgerechtigkeit. Auflage dazu waren folgende: Der Herbergsberechtigte hatte mindestens ein Zimmer mit bezogenem Bett bereitzustellen. Außerdem musste er einen geräumigen Stall aufweisen, indem mindestens zwei Pferde zusätzlich zu den eigenen Pferden untergebracht werden konnten.
Das alte Gemeindebrauhaus der Stadt Kaltennordheim stand am Neumarkt, am Ufer der Felda. Es wurde im Jahre 1592 erbaut. Ein Stein dieses Hauses ist heute noch am Sockel der Bäckerei Dähling sichtbar. Hier führte seit Jahrhunderten auch eine kleine Holzbrücke über die Felda, im Volksmund „Brausteg" genannt.


Wie bereits erwähnt, ging die Braugerechtigkeit im 19. Jahrhundert an gewerbliche Betreiber über. Aus diesem Grunde verkaufte die Stadt im Jahre 1875 das Brauhaus und die Braugerechtigkeit je zur Hälfte an die Witwe Margarethe Marschall, geb. Salzmann und an Friedrich Christian Dittmar. Beide waren Gasthausbesitzer und besaßen auch geeignete Kelleranlagen zur Lagerung größerer Mengen von Bier. Margarethe Marschall war Besitzerin des Gasthauses „Zum Löwen" und wurde deshalb Volksmündlich auch „Löwengret" genannt. Der Gastwirt und Metzger, Friedrich Christian Dittmar, besaß das Gasthaus an der Felda, das spätere „Gasthaus zur Brauerei".
Friedrich Christian Dittmar, genannt der „Hannese Fried”, erwarb im Jahre 1888 den Anteil der Margarethe Marschall und war nun alleiniger Besitzer des Brauhauses. Obwohl er kein gelernter Brauer war, verstand er es, den Umsatz des Hauses zu steigern und das Kaltennordheimer Bier bekannt zu machen. Bald kauften die Gastwirte der benachbarten Dörfer ihr Bier in der neu gegründeten Brauerei, dem ehemaligen Brauhaus in Kaltennordheim. Die ersten Kunden waren Gastwirte aus Kaltensundheim, Frankenheim und Empfertshausen. Mit Pferdewagen fuhr man die Fässer in die Dörfer.


Gebraut wurde damals noch nach althergebrachter Weise. Zum Rühren der Maische wurden Konfirmandenburschen angestellt, die sich auf diese Art ein kleines Taschengeld verdienten. Der steigenden Nachfrage konnte das alte Brauhaus mit seinen kleinen Räumen und der veralteten technischen Einrichtung bald nicht mehr gerecht werden.
Friedrich Christian Dittmars Sohn, der das Brauerhandwerk erlernt hatte, baute mit Unterstützung seines Schwiegervaters, des Kaufmanns und Stadtratsvorsitzenden K. W. Walch, im Jahre nach der Jahrhundertwende einen modernen Brauereibetrieb in der Fuldaer Straße. Das Grundstück mit den alten Lagerkellern, die bereits seit dem Mittelalter schon zum Lagern von Bier genutzt worden sind und die früher zum Brauhaus gehörten, hatte Friedrich Dittmar bereits mit dem Anteil des Brauhauses käuflich erworben.


Im Jahre 1905 wurde die neue Brauerei in Betrieb genommen und nahm einen gewaltigen Aufstieg. Bald wurde das Kaltennordheimer Bier auch überregional bekannt und beliebt.

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