Das Kaltennordheimer Krankenhaus

Im Jahre 1894 bekommt die Kommune Kaltennordheim das Vermögen der Kaltennordheimer Amtsarmenkasse zugesprochen. Dieses Kapital, so beschloss es der Stadtrat, sollte als Grundstock für die Errichtung eines Krankenhauses dienen.

Zwei Jahre gingen ins Land, bis das Thema Krankenhaus erneut öffentlich diskutiert wurde. Am 27. Juni 1896 bekam der Stadtrat den Bauriss des von Dr. Rehfeld geplanten Hospitals vorgelegt. Die Stadtväter gaben ihrerseits dem Bauvorhaben „grünes Licht", mit der Einschränkung, dass aus baupolizeilicher Sicht keine Bedenken geäußert würden. Laut Kostenvoranschlag sollte der Bau insgesamt 17 000 Mark kosten, die Kommune beteiligte sich mit einem Betrag von 2 700 Mark. Weitere 18 Gemeinden sollte das Krankenhaus mit betreuen. Auch diese sollten sich an den Baukosten beteiligen, und alle 19 Orte sollten gemeinsam für die Unterhaltungs- und Verwaltungskosten des künftigen Krankenhauses aufkommen. Es dauerte einige Monate, bis alle Gemeindeparlamente dieser Regelung zustimmten.


1903 konnte das Krankenhaus eingeweiht werden. Der bekannte Rhöner Arzt Dr. Rehfeld übernahm die Leitung des Hospitals. Neben dem Krankenhausgebäude ließ der Mediziner eine private Entbindungsanstalt errichten, in der bis 1916 „gefallene Mädchen" aus besseren Kreisen heimlich ihre Kinder zur Welt brachten und zur Adoption freigaben. Eines dieser „Krankenhauskinder" war beispielsweise der Bergsteiger Willi Merkel, der 1934 am Moorenkopf (Himalaja) tödlich verunglückte. Auch die berühmte Pianistin Elly Ney soll im Jahr 1909 ein uneheliches Mädchen zur Welt gebracht haben, dass an einer Hand sechs Finger hatte. Die Kaltennordheimer Hebamme Rosa Clas war viele Jahre in dieser Entbindungsanstalt angestellt. Später übernahm Dr. Krieg das Hospital, und das Haus ging unter dem Namen „Dr. Kriegs Pension” in die Geschichte ein. Der Erste Weltkrieg überschattete Deutschland - 1916 wurde das Krankenhaus Lazarett für verwundete Soldaten. 1920 kaufte die Krankenkasse das Haus.


Im November 1928 übernahm der Facharzt für Chirurgie und Gynäkologie, Dr. Franz-Jakob Mackenstein, die Hausleitung. Das Hospital besaß damals noch keinen Operationssaal und keine chirurgisch ausgebildeten Schwestern. Diese Gegebenheiten minderten keinesfalls den Aufbau und Schaffensfreude des jungen Arztes.
Im Laborraum, auf einem gewöhnlichen Tisch und ohne Spezialbeleuchtung, realisierte Mackenstein die erste Operation – sie glückte. Die Krankenhausverwaltung sah den Fortschritt und richtete einen OP-Saal ein, später folgte eine Röntgeneinrichtung, und fortan standen dem Mediziner chirurgische Fachschwestern zur Seite. Das Haus bekam Aufwind. Von ursprünglich 20 Betten konnte die Kapazität schrittweise bis 1938 auf 52 Betten gesteigert werden. 1934 stand ein Besitzerwechsel an: Das Sophienhaus Weimar kaufte das Kaltennordheimer Krankenhaus und betrieb es als Außenstelle des Weimarer Mutterhauses.


16 Operationen führte Dr. Mackenstein allein vom 28. November bis 31. Dezember des Jahres 1928 aus. Im Jahr 1929 waren es insgesamt 186. Schrittweise erfolgte eine Steigerung der Operationstätigkeit, so dass im Jahr 1938 492 Patienten in Kaltennordheim unter das Messer kamen. Eine weitere Steigerung erfolgte in den Kriegsjahren. 1944 waren beispielsweise 773 Operationen zu verzeichnen. 1945 waren es 675, 1946 - 617, 1947 - 833 und 1948 sogar 866. In den folgenden Jahren bis 1960 schwankte die Zahl der Operationen im Bereich von 600 bis knapp 800 jährlich. Danach war wiederum ein Rückgang der Operationstätigkeit zu verzeichnen. Das operationsreichste Jahr in dieser Zeit war 1965 mit 646 operativen Eingriffen. 23 027 Operationen führte Dr. Mackenstein bis zum 15 Juni 1968 aus. Entbindungen führte der bekannte Arzt vom 1. Januar 1929 bis 30. Juni 1968 aus. Insgesamt erblickten unter seiner Hand 1 432 Kinder das Licht der Welt. Die Zahlen der Patienten, die unter Dr. Mackenstein im Kaltennordheimer Krankenhaus stationär behandelt wurden, schwankte zwischen 256 (1929) und 988 (1960). 30 422 stationäre Patienten wurden im Zeitraum vom 1. Januar 1929 bis zum 15. Juni 1968 gezählt. Bis 1970 fanden unter Macksteins Leitung Operationen im Kaltennordheimer Krankenhaus statt. Das Hospital wurde danach umfunktioniert für die Behandlung innerer Krankheiten. Der Internist Dr. Hans Krusche übernahm die Hausleitung. Von 1972 bis zum Wendejahr 1989 lag die durchschnittliche Patientenzahl bei 562 pro Jahr. 1972 wurden beispielsweise 556 Patienten stationär behandelt. 1973 waren es nur 442, 1974-427 und 1975 gar nur 408. In den folgenden Jahren war wieder eine steigende Tendenz zu verzeichnen. Mit 651 Behandelten konnte 1980 ein Rekord verzeichnet werden. 535 Patienten behandelte die Kaltennordheimer Krankenhausbelegschaft im Jahr 1990. 1991 waren es 543 und 1992 genau 570. Im Jahr 1993 sank die Patientenzahl auf 452. Von 1972 bis zum 30. Juni 1994 wurden insgesamt 12 402 Patienten im Kaltennordheimer Krankenhaus behandelt.
Einzugsgebiet des Kaltennordheimer Sophienhauses war bis zuletzt die komplette obere Rhön, aber auch das Feldatal sowie Dorndorf, Vacha, Kieselbach und Geisa.


Ein schwarzes Jahr für das Kaltennordheimer Sophienkrankenhaus war das Jahr 1994. Aufgrund stark zurückgegangener Patientenzahlen war die ökonomische Rentabilität des 50-Betten-Hauses (48 Beschäftigte) nicht mehr gegeben. Nach mehrmonatigen Verhandlungen beschloss der Aufsichtsrat die Schließung des Kaltennordheimer Krankenhauses. Am 30. Juni genannten Jahres ging dieses Kapitel Krankenhausgeschichte zu Ende. Recht bald zeichnete sich jedoch ab, dass sich ein weiteres Kapitel anschließen könnte. Das Sozialwerk Meiningen will das Haus von der Spohienhaus-Stiftung Weimar abkaufen und zur Behinderteneinrichtung umbauen. Nach derzeitigem Planungsstand sollen ab Ende 1996 etwa 15 Mitarbeiter 24 Behinderte betreuen. Die Kosten für den Umbau belaufen sich nach vorsichtigen Schätzungen auf 3,6 Millionen Mark. Die Thüringer Landesregierung sagte bereits die Finanzierung der Bauarbeiten zu. Die Umbauarbeiten sollen im Sommer 1995 beginnen.


Kaltennordheim im Dezember 1994, Stefan Sachs

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