Der erste Weltkrieg 1914 - 1918

Am 1. August 1914, einem Sonnabend, kam der Mobilmachungsbefehl. Bereits am Sonntag musste ein Teil der Landwehrmänner einrücken; der Landsturm folgte in den nächsten Tagen. Am Abend des 1. August standen überall auf den Straßen aufgeregte Gruppen, Kinder, den Vater umringend, Frauen, trübe Befürchtungen hegend.

Den Ernst der Zeit merkte man auch an den Alarmierungen. Spione und sagenhafte Autos, beladen mit ausländischem Gold, spukten in den Gehirnen und ließen viele nicht schlafen. Die Ortsausgänge wurden Tag und Nacht bewacht. Bewohner mit altertümlichen Waffen, Wagenbarrikaden, auch eisernen Ketten sperrten und kontrollierten jeden Verkehr. Indessen wurde nichts von Belang ausgekundschaftet. Die Bürgerwehr, die gebildet werden sollte, kam über die Anfänge nicht hinaus. Bald aber legte sich wieder die allgemeine Aufregung und es wurde nach und nach wieder stiller.


Vonseiten der Gemeinde wurde eine Kontrollkommission, bestehend aus 7 Mann, gebildet, um Unterstützungsgesuche zu bearbeiten. Zu diesem Zweck wurde ein Darlehen von 10 000 Mark aufgenommen. Eine Versicherung der im Felde stehenden Mitglieder durch die Gemeinde lehnte der Gemeinderat ab. Ein neues Jahr hatte begonnen. In der „Reichswollwoche" wurden getragene Sachen gesammelt und zu Decken, Unterkleider und warmen Westen verarbeitet.
Der Krieg machte sich nun auch in der Heimat fühlbar: Regelung der Vorräte, Brotkarten, Backvorschriften – alles, um die vorhandenen Vorräte zu strecken und einer Hungersnot vorzubeugen. Wenn man auch bei uns von einem Mangel wie in der Stadt nicht sprechen konnte, so machte sich doch nach und nach mancher Mangel bemerkbar. Örtlich wurde eine Kontrollkommission zur Überwachung der Selbstversorger und Müller gebildet. Nur auf Mahlkarten konnte man sein Getreide mahlen lassen. Die Kommission nahm Haussuchungen vor und mancher Sack Getreide, den man sicher versteckt zu haben glaubte, wurde gefunden. Er verfiel der Beschlagnahme.


Die Ernte war mittelmäßig, nur Kartoffeln gab es reichlich. Doch die Behörden drängten auf Abgabe von Lebensmitteln, weil die Versorgung der Städte anfing Schwierigkeiten zu machen. Die Beschlagnahme von Vorräten auf dem Lande nahm immer schärfere Formen an. Nichtsahnend wollte man sein Tageswerk beginnen, da standen plötzlich drei bis vier Soldaten vor der Tür und begehrten Einlass. Sie durchsuchten Boden. Keller und alle Räume. Mit langen Stecken stocherten sie im Heu. Sie gingen in den Stall und prüften das Melken der Kühe.
Der Staat forderte Einschränkung der Schweinezucht, und viele noch nicht ausgewachsene Schweine mussten frühzeitig ihr Leben lassen, um die Kartoffeln zu sparen. Das hat sich besonders 1916 bitter gerächt, weil das Fleisch fehlte und der Krieg viel zu lange dauerte.
Die Schulkinder zogen in den Wald und zupften das Laub von den Bäumen. Mit diesem „Laubheu" fütterte man die Pferde. Bucheckern wurden gesammelt und zu Öl geschlagen. Die Brennnessel, sonst nur Nahrung für junge Gänse, kam in Fabriken, wo ihre Gespinstfaser zu Kleiderstoff verarbeitet wurde. Die gedörrten Beeren des Weißdorns bildeten Kaffee-Ersatz. Alte Konservenbüchsen wurden gesammelt, um den Zinngehalt noch zu verwerten.


Der Mangel an Arbeitskräften machten sich immer stärker bemerkbar. Immer mehr Männer waren einberufen worden. Gefangene Franzosen und Russen wurden auf das Land verteilt, die in der Landwirtschaft helfen mussten. Sie hatten es nicht schlecht und haben den Krieg hier überstanden. Auch bekamen sie von zu Hause viele Pakete mit Konserven, Keks, Weißbrot und Schokolade. Die Franzosen sammelten gern Schnecken und brachten sie in ihren Taschentüchern als Leckerbissen nach Hause. „O gut! Sehr gut!" sagten sie.


Zwei Glocken der Kirche wurden abmontiert, zerschlagen und der Sammelstelle zugeführt, um als Kriegsmaterial verarbeitet zu werden. Die Feldabahn schränkte, besonders an den Sonn- und Feiertagen ihren Verkehr ein. Weil Licht gespart werden musste, wurden die Reisenden abends im Dunkeln gelassen. Das Postauto Kaltennordheim - Meiningen hatte seinen Verkehr bei Kriegs Ausbruch sofort eingestellt. Gummibereifung für Fahrräder gab es nicht mehr und Wagemutige lärmten auf Drahtspiralen durch die Gegend.
Das Jahr 1918 verlief fürs erste ohne nennenswerte Ereignisse, es steigerte nur noch die vorhandenen Schwierigkeiten. Manches Stück Vieh musste abgeliefert werden. Bei Hausschlachtungen bestand die Verpflichtung, Speck an die Hindenburg-Spende zu geben. Keiner hatte gedacht, dass der Krieg so lange dauern würde.


Der Opfer aber wurden es immer mehr. Das Leid in den Familien immer größer. 74 Männer kehrten nicht mehr zurück. Sie hatten ihr Leben sinnlos „für Kaiser und Reich” hingegeben. Da brach am 9. November 1918 die Revolution aus, der Weltkrieg hatte sein Ende gefunden. In Berlin wurde die Republik ausgerufen und der deutsche Kaiser war auf holländisches Gebiet geflüchtet. Das Heer musste in kurzer Zeit Frankreich und Belgien räumen, und auch durch unseren Ort zogen viele Soldaten, der Garnison, wo sie entlassen wurden und der Heimat zu.
Im November 1918 wurde auch hier ein Arbeiter- und Soldatenrat gebildet, der aber nicht sehr in Erscheinung trat. Die Krieger kehrten heim, die Gefangenen erst im folgenden Jahr, zum Teil sogar erst 1920. Viele Kinder erkannten den Vater nicht mehr.
Not hatte ein Ende - neue Not fing an.


Richard Gerlach hat diesen Krieg selbst miterlebt und schrieb das Geschehen als Kaltennordheimer Bürger und Zeitzeuge auf.

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